documenta-Kooperation zweier Buchhändler erregt Aufsehen
21. Juli 2022 | Dass die Hofbuchhandlung Vietor innovative Wege geht, zeigt sich wieder einmal eindrucksvoll – nun bei der documenta fifteen. Die Kunst-Buchhandlung Walther König, seit langem fester Bestandteil einer documenta, und die Hofbuchhandlung Vietor (Ecke Ständeplatz/Wilhelmsstraße) sind eine Kooperation eingegangen und teilen sich den documenta-Buchhandel. Beide Händler betreten damit Neuland.
Das Traditionsgeschäft Vietor war 1955 die erste Buchhandlung, die auf der frisch gegründeten documenta Kataloge und Kunstbände verkaufte. Der Kunstbuchspezialist Walther König ist seit 1972, der documenta 5, damals unter der Leitung von Harald Szeemann, auf der Kasseler Kunstschau präsent. Die immer gut besuchte Buchhandlung war stets in einem Container am Friedrichsplatz untergebracht. Oft war es darin heiß – und stets eng. Diesmal ist alles ganz anders: kühl, weiträumig, beinahe luxuriös. Die Buchhandlung der documenta fifteen findet sich im sogenannten ruruHaus, dem ehemaligen Sportkaufhaus Sportarena am Fuße der Treppenstraße. Das Kuratorenteam, das indonesische Künstlerkolletiv ruangrupa, hat das ruruHaus zum „Wohnzimmer“ der documenta fifteen umfunktioniert, zur Zentrale, zum Meeting Point.
Zwei Buchhandlungen unter einem Dach machen gemeinsame Sache
Wer derzeit dieses Gebäude betritt, vorbeigeht am Café, vorbei am Infostand und an den mobilen Ticketschaltern, der stößt auf ein neuartiges Buchgeschäft, das einen ganz besonderen Spirit ausstrahlt. Die zusammenhängende Ladenfläche, einst ein Mekka für Sporthosen und Sportschuhe, wird nun gemeinsam betrieben – von den jeweiligen Geschäftsführern Lothar Röse (Hofbuchhandlung Vietor) und Franz König (Buchhandlung Walter König). Mit einem gemeinsamen Kassensystem und einer gemeinsamen Warenwirtschaft.
„Wir helfen uns gegenseitig, das Motto der documenta setzen wir auch bei der Arbeit im Laden um“
Entstanden sei die von beiden als sehr positiv bewertete Kooperation, weil das Kuratorenkollektiv ruangrupa und die documenta-Leitung ganz bewusst Firmen, Menschen und Produkte aus der Region einbinden wollten, verrät Lothar Röse in einem Interview, das das Börsenblatt, ein Medium für den Buchhandel, mit ihm und Franz König führte. „Lumbung“ ist der allgegenwärtige Begriff der documenta fifteen, die Kuratoren meinen damit den Gedanken des gemeinschaftlichen Handelns, des Miteinanders, des gegenseitigen Helfens.
„Den „Lumbung“-Gedanken, das Motto der documenta, setzen wir auch bei der Arbeit im Laden um“, erklärt Lothar Röse. „Wir helfen uns gegenseitig: Wenn ein LKW mit Bücherkisten ankommt, laden alle mit aus. Auf das Miteinander sind wir auch ein bisschen stolz, die documenta-Buchhandlung hat einen ganz besonderen „Spirit“. Das Sortiment ist so bunt wie die Kunstschau. Eine Galerie mit Leuchtgloben, eine Comic-Rakete und Graphic Novels setzen optische Akzente.“
Steine aus dem Baustoffhandel, Lampen von Kasseler Geschäftsleuten
Bei dem sehr sehenserten Umbau zu dieser Zwei-in-eins-Buchhandlung unter einem Dach kamen nach dem Lumbung-Prinzip wiederverwertbare Steine aus dem Baustoffhandel zum Einsatz, die Beleuchtung haben Kasseler Kaufleute zur Verfügung gestellt.
Wer diesen temporären Bücher-Hotspot derzeit besucht, kann gar nicht anders, als fasziniert zu sein. Ob das zwanglose Blättern in unzählig aufbereiteten Kunstbüchern, Entdeckungen von kunsttheoretischen Abhandlungen in hoch hinausragenden Regalen, documenta-Merchandising-Produkte von Seifen über Plakate bis hin zu Bekleidung, oder das Stöbern in zeitgenössischer ausgewählter Belletristik und in Regionalia vor beleuchteten Globen – diese schillernde Mixtur ist einmalig, und man muss bereits jetzt bedauern, dass sie nicht für immer in Kassel verweilen wird.
Das vollständige Interview im Börsenblatt lesen Sie unter:
https://www.boersenblatt.net/news/buchhandel-news/offen-gestanden-wir-hatten-beide-etwas-bammel/
Die beiden documenta-Partner
Lothar Röse ist Geschäftsführer der Hofbuchhandlung Vietor in Kassel. Die 1837 gegründete Buchhandlung hat er 2014 übernommen. Das Traditionsgeschäft war 1955 die erste Buchhandlung, die auf der frisch gegründeten documenta Kataloge und Kunstbände verkaufte. Sie wurde schon mehrfach mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.
Franz König ist Geschäftsführer der Buchhandlung Walther König, die sein Vater in Köln gründete. Heute werden neben dem gleichnamigen Kunstverlag mehr als 40 Filialen und Museumsshops betrieben – zwischen London und Mailand, zwischen Berlin und Paris. Für die Buchhandlung Walther König ist es die zehnte documenta-Präsenz seit 1972.